Schulsozialarbeit eröffnet neue Welten
Kampfpriester jagt Bösewicht
Konstantinos und Alexander hantieren wie kleine Profis mit den Knochen und Steinen. Kein Wunder, schließlich sind sie schon seit einem Jahr in der Archäologie-AG von Sven Eeckhout. Er ist Schulsozialarbeiter. Und nächstes Jahr vielleicht nicht mehr da.
Die beiden Schüler sind elf und besuchen die sechste Klasse der Albert-Schweitzer-Realschule im Stadtteil Nette. Sie lauschen gebannt den Geschichten, die ihnen der Schulsozialarbeiter mit dem blonden Zopf aus grauer Vorzeit erzählt. Insgesamt zehn Schüler erarbeiten sich gemeinsam archäologisches Wissen, ganz freiwillig. Auch in der Rollenspiel-AG sind Konstantinos und Alexander dabei. Konstantinos ist dort ein Waldläufer, Alexander ruft: „Und ich bin der Kampfpriester!“ Sven Eeckhout zuckt kurz, grinst und korrigiert aus Sorge um den Ruf der Rollenspiel-AG: „Priester des Gottes der Weisheit heißt diese Rolle.“ Er selbst ist jedenfalls der Bösewicht, den die Kinder außer Gefecht setzen, indem sie zaubern und Rätsel lösen. Alles komplett ohne Computer.
Was hat ein Schulsozialarbeiter mit Archäologie und Rollenspielen zu tun? Solche Arbeitsgruppen machen nur einen kleinen Teil von Eeckhouts Arbeit aus. Aber einen wichtigen, weil er so den Kontakt zu den Schülern aufbaut und sich Vertrauen entwickeln kann – eine Grundvoraussetzung für erfolgreiche Sozialarbeit. Sven Eeckhout hat eine Kollegin, die andere AGs anbietet. Elena Kabuzan sorgt unter anderem für ein Anti-Mobbing-Training, durch das interessierte Schülerinnen und Schüler quasi zu Mediatoren werden. Das neue Schuljahr hat gerade begonnen, Kabuzan und Eeckhout sitzen in ihrem Büro. Mit dem Gong zur Großen Pause platzt die Tür auf und ein Rudel Fünftklässler stürmt auf den Schreibtisch zu. Die Lage ist unübersichtlich. Klar ist, alle wollen sich zu den Arbeitsgruppen anmelden.
Schüler werden unterstützt
Als wieder Ruhe eingekehrt ist, berichten die beiden Schulsozialarbeiter von weniger fröhlichen Fällen. Eine Mutter hatte sich an Elena Kabuzan gewandt, weil die Familie mit dem Freund der Tochter nicht einverstanden war. Wunsch der Mutter: Die Sozialarbeiterin sollte die Tochter dazu bringen, den Freund wegzuschicken. „Die Tochter wurde Zuhause vom Vater regelrecht ignoriert und sollte in ein Internat gesteckt werden“, erzählt Elena Kabuzan. Sie sprach einzeln mit allen Beteiligten und vermittelte zwischen den unversöhnlichen Positionen. Inzwischen hat sich die Lage beruhigt. So ein Fall ist durchaus typisch. In einer anderen Familie gab es einen Todesfall, die Tochter kümmerte sich daraufhin um alles, weil die Mutter völlig überfordert war. Das fiel erst auf, als die Realschülerin im Unterricht einschlief. Elena Kabuzan und Sven Eeckhout gingen der Sache auf den Grund und haben das Mädchen und seine Familie dann ganz praktisch unterstützt und entlastet.
„Die Lehrer können so etwas gar nicht leisten. Dazu haben sie weder die zeitlichen noch die professionellen Ressourcen“, erklärt Schulleiterin Christel Stegemann. Sie weiß aus ihrer täglichen Arbeit, wie wichtig die Schulsozialarbeit ist: „Wenn Kinder und Jugendliche Probleme im Unterricht haben, stecken oft familiäre Probleme dahinter.“ Aktuell gibt es in Dortmund 160 Schulsozialarbeiter. Allein siebzig kamen im letzten Jahr durch das Bildungs- und Teilhabepaket der Bundesregierung hinzu. 17 von ihnen sind wie Sven Eeckhout bei der dobeq angestellt. Im Sommer 2013 läuft die Förderung aus. Gibt es keine Anschlussfinanzierung, kommen die siebzig neuen Schulsozialarbeiter nach den Ferien nicht mehr zurück.
„Wenn Kinder und Jugendliche Probleme im Unterricht haben, stecken oft familiäre Probleme dahinter.“ Christel Stegemann, Schulleiterin der Albert- Schweitzer- Realschule „Ich weiß gar nicht mehr, wie wir das alles ohne die Sozialarbeiter geschafft haben“ Detlef von Elsenau, Schulleiter des Heinrich- Heine- Gymnasiums
Nicht für die Noten zuständig
Das Heinrich-Heine-Gymnasium grenzt direkt an die Realschule. Brigitte Exius-Brüggemann ist hier Schulsozialarbeiterin. Wie die anderen beiden auch führt sie Elterngespräche, macht Hausbesuche und hilft Familien, Leistungen nach dem Bildungs- und Teilhabegesetz zu beantragen. Seit dem letzten Jahr können Kinder aus sozial benachteiligten Familien Zuschüsse zum Beispiel für Ausflüge, Schulbedarf und Mittagessen bekommen. An beiden Schulen werden die SozialarbeiterInnen rege in Anspruch genommen: Lehrer wenden sich an sie, wenn bei einem Schüler die Leistung nachlässt; Schüler kommen, wenn sie sich unverstanden fühlen, Prüfungsangst oder Probleme mit ihren Eltern haben; Eltern suchen Rat zu Schul- und Erziehungsfragen. Die Rolle der Schulsozialarbeiter ist schon deswegen ganz anders als die der Lehrer, weil sie nicht für die Noten zuständig sind. Das macht es den Kindern und Jugendlichen leichter, persönliche Anliegen vorzubringen.
„Ich weiß gar nicht mehr, wie wir das alles ohne die Schulsozialarbeiter geschafft haben“, wundert sich Detlef von Elsenau, Rektor des Heinrich-Heine-Gymnasiums. Er lobt die gute Zusammenarbeit und beschreibt die Veränderungen in den letzten Jahren: „Die Kinder sind schwieriger geworden. Oft fehlen Leistungsbereitschaft und verbindliche Regeln. Wir haben heute deutlich mehr verhaltensauffällige Kinder als früher.“ Die Schulsozialarbeiter sind eine Art Scharnier zwischen Schule und Jugendhilfe. Wenn sie zum Beispiel mitbekommen, dass ein Kind Zuhause geschlagen wird, nehmen sie Kontakt zum Jugendamt auf.
Christel Stegemann und Detlef von Elsenau wollen sich zusammen mit anderen Schulleitungen dafür einsetzen, dass die Schulsozialarbeiter auch nach den Sommerferien 2013 wiederkommen. „Schulsozialarbeit ist zu einem unersetzlichen Faktor im Zusammenwirken von Jugendhilfe und Schule geworden“, bestätigt auch die Dortmunder Dezernentin für Schule, Jugend und Familie, Waltraud Bonekamp. Nach ihrer Einschätzung wird die Diskussion über die Fortsetzung der Schulsozialarbeit im Schul- und Bildungsausschuss des Städtetages NRW und des Deutschen Städtetages eine wichtige Rolle spielen. Als Dezernentin will sich Waltraud Bonekamp dort für eine Verstetigung der Schulsozialarbeit einsetzen.
Sven Eeckhout freut sich über das Vertrauen der Schüler und würde die Arbeit gern weitermachen: „Die Kinder kommen ja nicht nur, wenn sie Probleme haben. Manchmal flüstert mir einer zu „du, Herr Eeckhout, ich hab mich verknallt …““.
Autorin: Frau Barbara Underberg
Hinweis auf die Quelle: „AWO Profil“